Wenn ich vor einer leeren Leinwand stehe, habe ich noch kein Bildmotiv im Kopf, es gibt keinerlei Planung oder Vorentwurf. Nur die Atmosphäre, die mich umgibt oder die ich mir schaffe – beispielsweise durch Gedanken oder durch Musik – sind meine Quelle, sind sozusagen ”mein gutes Licht“ und stehen am Anfang von jedem neuen Bild. Aus dieser Stimmung heraus wähle ich die Farbe, mit der ich anfangen möchte. Die leere Leinwand liegt auf dem Boden, für mich der beste Platz um sie von allen Seiten ”zu begehen“.
Farbrollen, Lappen, grobe Pinsel und Pappspachteln sind meine Malwerkzeuge, meine Malmittel hauptsächlich Tusche- und Acrylfarben, gelegentlich Lack. Ich benutze unterschiedliche Techniken, überlagere mehrere Farbschichten, experimentiere mit unterschiedlichen Trocknungsstufen der Farbmaterialien (z.B. Nass–in-Nass-Technik mit Acryl und Tusche), bringe Farbe auf und kratze oder frottiere sie wieder ab. Der daraus entstandene Hintergrund bietet mir vielfältige Möglichkeiten das Bild weiter aufzubauen.
Im Laufe meiner Malpraxis habe ich ein sicheres Gespür für harmonische Farbstellungen entwickelt, oft verwende ich nur wenige Farbtöne, bilde Kontraste durch hell und dunkel. Das Bildmotiv entsteht während des Malaktes, ich habe gelernt meiner Intuition zu vertrauen. Ich erkenne im Prozess Formen oder erahne bereits das Gesamtbild, welches ich teilweise durch grafische Elemente -gern die abstrahierte menschliche Figur oder einfache Linien- akzentuiere. Ich durchbreche damit flächige Formen und gebe dem Bild somit eine gewisse Tiefe und Räumllichkeit.
Während ich bei meiner Malerei zum Arbeiten eine Art “musische Atmosphäre” benötige, ist hier die Ausgangssituation eine andere, hier ist es laut, dreckig und körperlich anstrengend. Die Spannung liegt in dem Ausgangsmaterial, Schrott (Reste der industriellen Fertigung), dem verbindenden Schweißen und dem konstruktiven Arbeitsprozess an sich. Wie bei meiner Malerei arbeite ich aber auch hier eher intuitiv, meine Plastiken entstehen ohne Skizze und ohne Vorentwurf. Ich sortiere die vorhandenen Einzelteile nach Materialstärke, Form und Beschaffenheit und arrangiere im Arbeitsprozess Stück für Stück die neue Plastik.
Hauptarbeitswerkzeug ist die Flex (Winkelschleifer mit verschiedenen Trenn- und Schleifscheiben) und mein Schutzgasschweißgerät (Starkstrom).
Die Formensprache die ich bevorzuge, ist abstrakt/figurativ. Es entstehen Kopf- oder Ganzkörperplastiken in überwiegend weiblicher Charakteristik. Für die Gestaltung einer Plastik suche ich oft die geschwungene Form, das Material verliert dadurch in seiner Wirkung die Kühle. Lichtdurchlassende Freiräume wirken gegen die Kompaktheit und Schwere des Werkstoffes. Durch die Reduzierung und Vereinfachung der Formen kann das Wesentliche dominieren, die schlichte Eleganz bekommt ein “Gesicht”. Bewusst überlasse ich der Oberfläche die Arbeitsspuren ihrer Entstehung, mit der Zeit bekommt die Plastik eine fasst archaische Ausstrahlung.
Oft nenne ich meine Stahlplastiken augenzwinkernd auch “meine Diven”, denn sie brauchen Raum und verlangen Kraft, sie sind in ihrer Wirkung apart, stolz und elegant.
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